Abgefahrenes Innenarchitektur-Konzept für die Velo-Stadt von morgen

28. Dezember 2023

In der «Himmelrich 3»-Siedlung werden demnächst sowohl Fahrrad- wie auch Kaffee-Liebhaber*innen auf ihre Kosten kommen. Wir entwickelten für das Ride Cycles ein mutiges Innenarchitektur-Konzept mit überraschenden Elementen.

In unserer Heimatstadt Luzern öffnete im Herbst der neueste und letzte Komplex der «Himmelrich 3»-Siedlung seine Tore. Darin befindet sich auch das Ride Cycles von Tatjana Ricciardi und Stefan Lang. Die Quer-Einsteiger*innen haben lange an ihrer Vision getüftelt und sprechen mit dem Multi-Use-Geschäft vor allem Fahrradbegeisterte an, die mehr wollen als Radeln und Reparieren.

Ein Hybrid aus Werkstatt und Café

Ricciardi und Lang sind überzeugt, dass sich der Stellenwert des Velo auch aufgrund der lokalen politischen Entscheide grundlegend verändern und das Zweirad immer bedeutender wird. Einerseits als Transportmittel, andererseits als Statussymbol. Deshalb setzt man im Ride Cycles auf Individualisierung: Im Werkstatt-Teil der hybrid genutzten Fläche lassen sich Velos nach persönlichen Vorstellungen zusammenbauen und natürlich auch reparieren – vielleicht sogar irgendwann ohne Mechaniker*in. Zusätzlich gibt es im Ride Cycles Platz für Austausch und Energie zum Pedalen in Form von Getränken und Snacks.

Rückenwind von Profis

Die selbstständige medizinische Masseurin Tatjana und der ehemalige Bauführer Stefan holten sich für die Umsetzung ihrer Vision gezielt externe Unterstützung. Dobas wurde damit betraut, die Innenarchitektur zu gestalten und Ride Cycles im Raum erlebbar zu machen. Mein Ziel war es, Werkstatt-Flair mit trendiger Café-Atmosphäre zu verbinden und ein aussergewöhnliches Gesamtbild zu kreieren.

Grosse Visionen auf kleinem Raum

Die grösste Herausforderung während der Entwicklung des Innenarchitektur-Konzepts bestand darin, allen Ansprüchen beider Nutzungen auf dem eher begrenzten Raum von 100 Quadratmetern gerecht zu werden. Behördlich waren wir verpflichtet, Werkstatt und Café voneinander separieren und einzeln zugänglich/unzugänglich machen zu können.

Wie wir den Raum am sinnvollsten aufteilen, zeigte sich relativ schnell: Der Werkstatt-Bereich befindet sich nun auf Erdgeschoss-Niveau mit einer Fensterfront zur Claridenstrasse, die ausschliesslich Fahrradfahrer*innen und Fussgänger*innen offensteht. Die Gastro-Zone, etwa zwei Drittel der Gesamtfläche, liegt eine Ebene höher und ist sowohl über eine Treppe im Raum wie auch über einen Lift erreichbar. Zudem gibt es einen nicht sichtbaren Kellerbereich, der als Stauraum dient.

Mit Mut im Sattel

Ich setzte gleich zu Beginn auf eine mutige Gestaltungslinie mit überraschenden Elementen, womit ich bei den Betreiber*innen umgehend auf offene Ohren stiess. Inspiriert wurde ich während einer eingehenden Literaturrecherche über internationale Multi-Use-Objekte und zeitgemässe Café-Konzepte.

In der Werkstatt erwartet die Kund*innen ein lachsoranger Gussboden aus Epoxid-Harz, während im Bistro ein geölter Industrie-Parkettboden verlegt wurde. Ein weiterer Hingucker ist die Bar-Verkleidung aus grauen Keramik-Platten, die aufgrund des speziellen Verlegemusters bei besonders leidenschaftlichen Velo-Fahrer*innen vielleicht sogar eine Fahrrad-bezogene Assoziation auslöst... Auch die Electra-Kaffeemaschine erfreut das Auge im Hochparterre – und anschliessend die Beinmuskeln beim Treten. 

Die Betonwände wurden bewusst im ursprünglichen Zustand belassen, um den industriellen Charakter zu unterstreichen. Eine weitere Prise Rock’n’Roll vermittelt die überdimensionierte Totenkopf-Skulptur der Künstler*innen Mathias Häfliger und Nadja Mehli aus dem Engadin. Graue Schallabsorber aus recycelten PET-Flaschen sorgen in den hohen Räumen für eine angenehme Akustik. Apropos stilles Örtchen: Die Toilette wird mit einer holografischen Tapete und goldener Sanitärkeramik für Gesprächsstoff sorgen.

Das Lichtkonzept umfasst funktionale und dekorative Beleuchtung, schafft die richtigen Lichtverhältnisse in den Arbeitsbereichen und hebt ausgewählte Designelemente hervor. Ein Blickfang, der bereits vor den Ride Cycles-Türen Aufmerksamkeit generiert, hängt über dem Sitzbereich der Gastro-Fläche: Die flexiblen Lichtseile «JANE» von XAL lassen sich individuell formen und kunstvoll arrangieren.

Dynamische Fahrt Richtung Zukunft

In welche Richtung sich das hybride Konzept von Ride Cycles auf lange Sicht entwickelt, lassen Tatjana Ricciardi und Stefan Lang auf sich zukommen. Sie seien offen und flexibel, meinten die zwei Unternehmer*innen gegenüber der abl, der Eigentümerin der «Himmelrich 3»-Überbauung. 

Das Ride Cycles-Team befindet sich nach mehrmonatigem Umbau kurz vor der Zielgeraden. Wir wünschen Tatjana Ricciardi und Stefan Lang einen energiegeladenen Endspurt und weiterhin eine erfolgreiche Fahrt auf ihrem innovativen Weg!

Mini-Serie Mischnutzungsprojekte

Wie sieht die Innenstadt der Zukunft aus? Architektur-Büros rund um den Globus haben darauf kreative Antworten gefunden. Neun davon stellten wir 2022 im Rahmen einer dreiteiligen Blog-Serie über Mischnutzungsprojekte vor. Hier geht’s zum ersten Beitrag

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